50 Jahre Kulturrevolution – Maos Erben & Vergangenheitspolitik

Im Rahmen des 50. Jahrestags der Kulturrevolution in der Volksrepublik China fanden im sinologischen Seminar der Universität Hamburg zwei wissenschaftliche Vorträge von Prof. Dr. Barbara Mittler und Prof. Dr. Leese statt.

Der Erinnerung zum Trotz? Warum China immer noch an Mao glaubt

Vortrag von Prof. Dr. Barbara Mittler, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Institut für Sinologie, am 25.05.2016 im Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg

Dass Mao Zedong auch heute noch Ikone und Objekt der Verehrung ganz unterschiedlicher Menschen in China ist, vom älteren Arbeiter zum jugendlichen Punk, mag wohl verwundern. Hierzulande wird Chinas „Großer Vorsitzender“ in Verbindung gebracht mit Elend und Unglück: dem „Großen Sprung nach vorne“ und der darauffolgenden Hungersnot (1958-61) und der „Großen Proletarischen Kulturrevolution“ (1966-76) etwa. Der Vortrag versucht, die nur auf den ersten Blick paradox erscheinende Popularität Maos aus der Erfahrung Chinas im langen 20. Jahrhundert zu erklären.

Besprechung
Dieser reich bebilderte Vortrag handelte in nur einer knappen Zeitspanne, didaktisch anschaulich, den Diskurs um die Maoisierung während und nach der Kulturrevolution ab. Hierbei legte Prof. Dr. Mittler den Schwerpunkt auf die ästhetische Ideologisierung Maos in der populären und Alltagskultur Chinas. Erfolgreich differenzierte Prof. Dr. Mittler bisherige Perspektiven, aus deutscher Sicht, auf die Gesellschaft Chinas.

Zu Beginn wurde mit einer imposanten Bildkollage über maoisierte Alltagsgegenstände, von Turnschuhen über Fächer bis hin zu feminisierten Büsten, eröffnet, um deren Verstrickung in Politik- sowie Konsumstrukturen Chinas zu illustrieren. Kritisch wurde hinterfragt ob diese Alltagsgegenstände Subjekt ausgeklügelter Propaganda seien. Jedoch scheint es fiel facettenreicher zu sein, als sich nur auf Propaganda zu beschränken. Schließlich ist das Interesse an der Idealisierung von Mao nicht einseitig von Seiten der Kommunistischen Partei ausgehend. Historisch zeigt sich, wie die breiten Massen auf propagandistische Kampagnen der Vorstellungen der KP teilweise paradox reagiert hatte: während der Antikonfuzius-Kampagne wurde der Konfuzianismus verbreitet um diesen zu verschmähen zu lernen, erst dadurch erreichte der Konfuzianismus damit bisher unverraute Bevölkerungsschichten; des Weiteren stieß die ideologisierte Biederkeit auf Sexualisierung der jungen Mädchen der Roten Garde durch die jungen Männer. Letztlich bleibt zu fragen übrig, ob der humorvolle, allgegenwärtige Umgang nicht auch eine Form psychologischer Bewältigung ist und wie es unter der Führung des Premierminister Xi Jinping weitergeht.

Das Erbe der Kulturrevolution: Vergangenheitspolitik und Strafjustiz

Vortrag von Prof. Dr. Daniel Leese, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Sinologie, am 25.05.2016 im Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg

Der Vortrag beschäftigt sich mit der Frage, auf welche Weise sich die Kommunistische Partei Chinas in den Jahren nach der Kulturrevolution administrativ und juristisch mit dem Erbe des Maoismus auseinandersetzte. Inwiefern fand eine Aufarbeitung kulturrevolutionärer Vergehen statt und auf welche Weise wurden Täter und Opfer definiert und behandelt? Auf Basis zeitgenössischer Originaldokumente werden Kontinuitätslinien und Brüche aufgezeigt, welche die chinesische Politik und Gesellschaft bis heute beeinflussen.

Besprechung
Prof. Dr. Leese illustrierte einen weiteren politisch aufgeladenen Aspekt der Kulturrevolution: die Revision und Rehabilitation von Straffällen.

Fokus dieses Vortrages war die Erkundung der Frage um den Umgang mit der Kulturrevolution aus politischer und administratorischer Perspektive von Seiten der Kommunistischen Partei. Entgegen der Erwartung vieler, nimmt die KP von Zeit zu Zeit Revision von Straffällen, die während der Kulturrevolution passierten, vor. Zuletzt sorgte 2013 die Verfolgung von Qiu Riren, der nach Mordverdächtigungen während der Kulturrevolution lange Zeit untergetaucht war, durch die Strafjustiz für Aufmerksamkeit. Jedoch wurde bereits nach Mao Zedongs Ableben unter der Führung seines Nachfolgers Hua Guofen Straffälle revidiert. Eine Chance auf Rehabilitation war daher gegeben, die seltener in Geld ausgezahlt wird, sondern mehr mit immateriellen Mitten w.z.B. Einstiegschance in gute Jobs. In der Regel handelt es sich bei diesen um rhetorische Vergehen bzw. Sprachvergehen. Anhand verschiedener Fallbeispiele, stellt Prof. Dr. Leese die Rollen der Opfer anschaulich dar. Der Kulturrevolution entstammenden Quellen (teilweise handschriftlich) dienten diesen als Beweis. Ganz offen, wird die Machtlosigkeit der Opfer dargelegt: einen Anspruch auf Rehabilitation haben sie nie. Die Entscheidung ist gänzlich von der Lokalen Administration abhängig. Jedoch stellt Prof. Dr. Leese auch, unter Nachdruck, fest, dass keine Klassenjustiz, d.h. der scharfen Unterscheidung zwischen roten und schwarzen, kommunistischen und kapitalistischen Klassen vorherrscht.

Unter der Vortragsaudienz waren u.a. Dr. Michael Friedrich, Dr. Kai Vogelsang und Dr. Ruth Cremerius präsent.

Autor: LDS

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